Die geopolitischen Umstände haben sich verschoben. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine spaltet die Weltgemeinschaft, Europas Verhältnis zu China spannt sich zunehmend an. Auch Deutschlands Rohstoffstrategie muss in der Folge nachgeschärft werden, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium. Aber dafür will man zunächst den „Critical Raw Materials Act“ heranziehen, wenn die EU-Kommission im Frühjahr eine Gesetzesinitiative für die sichere Versorgung der Mitgliedsstaaten mit so genannten kritischen Rohstoffen vorlegt. Es muss ja nicht gleich eine neue eigene Strategie aufgelegt werden.
Nach Angaben der Internationalen Energieagentur wird sich die Nachfrage für kritische Mineralien wie Kupfer, Kobalt, Mangan und verschiedene Seltenerdmetalle zwischen 2020 und 2030 fast versiebenfachen, wenn der geplante Übergang zu Netto-Null-Emissionen gelingt. Allein der Einsatz von Windturbinen, die zur Erreichung der Dekarbonisierungsziele der EU erforderlich sind, dürfte bis 2050 den Großteil der heute auf dem EU-Markt verfügbaren Seltenerd-Materialien Neodym, Praseodym, Dysprosium und Terbium erfordern.
Betont hat die Kommission auch bereits, dass eine strategische Unabhängigkeit der EU nur durch effektives Recycling und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft erreicht werden kann. Ein Recycling von Seltenen Erden erfolgt derzeit überwiegend in Asien. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) vermerkt aber positiv, dass Europa hier Kapazitäten ausbaut. „Voraussichtlich 5-10 Jahre könnte es dauern, bis hier mit einem signifikanten Output zu rechnen ist.“
Auch sollen mindestens 30 Prozent des EU-Bedarfs an raffiniertem Lithium aus der EU stammen. Die BGR hält eine Eigenversorgung von Lithium in Europa zu 27-34 Prozent für möglich, davon bis zu zehn Prozent aus dem Recycling. „Eine potenzielle Gewinnung von Lithium würde sich bei den aktuell sehr hohen Marktpreisen auch in Europa lohnen.“ Brüssel und die Mitgliedsstaaten wollen zudem ein strategisches Reservesystem mit wichtigen Rohstoffen einrichten, wie es die USA, Japan oder Südkorea bereits haben – in Zusammenarbeit mit umliegenden Ländern wie Albanien, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Ukraine und Ländern in Nordafrika.
Aber wo tun sich überhaupt die größten kritischen Abhängigkeiten auf – und wo mögliche Alternativen? Capital gibt einen Überblick.
Vor allem Lithium und Kobalt sind wichtige Rohstoffe für die Batterien von Elektrofahrzeugen. Diese benötigen für ihre Herstellung mehr Technologiemetalle als Benziner. Chile hält den größten Anteil am Markt für Lithiumkarbonat aus Solen, wie sie z.B. im Salar von Atacama (im Bild) entstehen. Die EU deckt ihren Bedarf an diesem kritischen Rohstoff zu 78 Prozent in dem Andenstaat und hat eine Modernisierung des 20 Jahre alten Handelsvertrags vereinbart. Australien wiederum dominiert die Produktion und die Ausfuhr von Lithiummineralien aus Hartgestein. Große Lithiumreserven befinden sich auch in China und Argentinien. Peking baut aber in Lateinamerika seine Position über Direktinvestitionen seit 2010 stark aus. Allein Chile birgt knapp 42 Prozent der vermuteten weltweiten Lithiumreserven, Argentinien etwa zehn Prozent.
Vom Hafen Setubal soll künftig neben VW-Autos auch "weißes Gold" verschifft werden. Der Preis von Lithium hat sich im letzten Jahr vervierfacht. Portugals Energieunternehmen Galp erkundet in Mina do Barroso die nach eigenen Angaben größte Lithium-Mine Europas. Etwa 145 km nordöstlich von Porto soll auch Europas größte Umwandlungsanlage entstehen. Ein mit der schwedischen Batteriespeicherfirma Northvolt gegründetes Joint Venture Aurora soll 2026 mit jährlich 35.000 Tonnen Lithiumhydroxid starten – genug für Batterien von etwa 700.000 Elektrofahrzeugen. Lithium-Vorkommen und Potentiale finden sich laut BGR auch in Spanien, Deutschland, Finnland, Österreich, Tschechien und Frankreich – zudem in Nachbarländern wie Serbien, Bosnien und Ukraine.
Viele europäische Länder haben nach Auskunft der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover durchaus das Potenzial, potenziell kritische Rohstoffe bergmännisch zu gewinnen. Einige tun dies bereits. So tragen allein vier Projekte für Vorkommen von Nickel und Kobalt in Finnland – und zwei weitere für Nickel in Schweden – dazu bei, die hohe Importabhängigkeit Europas bei den Batterierohstoffen zu reduzieren. Im Bild die Nickel-Mine in Talvivaara, Sotkamo. Das wohl „sicherste“ Fördergebiet ist die EU selbst, schreibt das DIW in einem Paper Ende November. So würden zwar von 30 betrachteten kritischen Rohstoffen momentan zwölf in der EU gefördert, aber bislang oft nur – und meist aus Kostengründen – in sehr geringen Mengen.
In der ehemaligen belgischen Kolonie sind heute fernöstliche wie westliche Bergbaukonzerne aktiv – außergewöhnlich grün präsentiert sich hier das chinesische Unternehmen Zijin in Kolwezi. In der Demokratischen Republik Kongo (DRK) findet sich Kobalt, meist ein Nebenprodukt von Nickel- und Kupferabbau – und einer der vier wichtigsten Batterierohstoffe, für den wiederum China der größte Importeur ist. Die DRK ist der weltweit dominierende Produzent und Exporteur von Kobalterzen und -konzentraten mit einem Anteil von 97 Prozent an den weltweiten Ausfuhren (nach Wert). Entsprechend hoch ist die Importabhängigkeit der EU, obwohl der kritische Rohstoff auch aus dem benachbarten Ruanda eingeführt wird. Sein raffiniertes Kobalt bezieht die EU zu knapp 60 Prozent aus Finnland. Zentralafrika birgt außerdem die Hauptlagerstätten von dem Erz Koltan, aus dem vorrangig das für Elektronikgeräte wichtige Metall Tantal gewonnen wird.
Ohne eine ganze Latte kritischer Rohstoffe könnten unzählige Technologien in Industrie, Kommunikation oder Speichermedien keine Innovationen hervorbringen. Die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) analysiert alle zwei Jahre die Angebotskonzentration und das Länderrisiko der Produktion zahlreicher mineralischer Rohstoffe und deren Zwischenprodukte verschiedener Wertschöpfungsstufen. 2021 bestanden für 21 Bergwerksprodukte, 19 Raffinadeprodukte und 92 Handelsprodukte „erhöhte Preis- und Lieferrisiken“. Am Horizont 2040 wird der Bedarf an Rohstoffen für 33 Schlüssel- und Zukunftstechnologien“ durch die Megatrends Dekarbonisierung und Digitalisierung bei insgesamt elf Metallen deutlich über dem heutigen Produktionsstand liegen.
Gleich drei der potenziell knappen Technologierohstoffe – Platin, Ruthenium und Iridium – lagern hauptsächlich in Südafrika und werden dort aus dem Untergrund geholt. Neben dem bereits genannten Tantal (aus Zentralafrika), das in Mikrokondensatoren unter anderem für Laptops und Smartphones eingesetzt wird, gehören auch Iridium und Scandium zu den laut DERA elf zunehmend nachgefragten Rohstoffen. Beide werden zur Produktion von Wasserstoff benötigt. Platin und Ruthenium wiederum sind wichtig für die Produktion von Festplatten im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung. Um ein Mehrfaches steigen wird neben dem Bedarf für Kobalt und Lithium (Elektromobilität) die Nachfrage nach Seltenen Erden.
Bei wenigen Rohstoffen ist die Abhängigkeit Europas so groß wie bei Seltenen Erden, deren 17 Elemente (REE) unter anderem ebenfalls für Traktionsmotoren von Elektrofahrzeugen, aber auch für Windkraftanlagen unabdingbar sein. In den letzten Jahren ist der Anteil Chinas an der weltweiten Förderung von REE leicht zurückgegangen. Der Anteil an den nachgelagerten Wertschöpfungskapazitäten zur Umwandlung in Oxide, Metalle, Legierungen und Magnete ist jedoch kontinuierlich gestiegen (s.Bild). Mit etwa 70-90 Prozent der REE-Produktion beherrscht China den Weltmarkt durch Produktionskontrollen, Ausfuhrbeschränkungen, Minenschließungen und Unternehmenskonzentration, so die EU-Analyse. All diese Faktoren tragen zu einem instabilen Angebot, erheblichen Preissteigerungen und Unbeständigkeit auf dem Weltmarkt bei.
Während die Produktionskapazität von sechs chinesischen Erzeugern von Seltenen Erden geschätzt 200.000 Tonnen übersteigt, erreichten die USA – nach einer Abbaupause 2015-2017 – im Jahr 2019 ganze 26.000 Tonnen (USGS, 2020). Was im kalifornischen Mountain Pass an Erzen und Konzentraten gewonnen wird, tritt zur Veredelung jedoch die Seereise nach China an, von wo der Eigenbedarf dann zu 80 Prozent gedeckt wird. Ausbaufähigere Exportkapazitäten hätten eher Australien (21.000 Tonnen REO), Myanmar (22.000), Indien (3.000), Madagaskar (2.000) oder Thailand (1.800). Die gemeinsame Beschaffung von kritischen Rohstoffen ist übrigens auch ein Ziel der QUAD-Partnerschaft der USA mit Indien, Japan und Australien.
Brasilien gehört mit Burundi, Malaysia, Vietnam zu Ländern, die der Geologische Dienst der USA für die Produktion von Seltenen Erden unter ferner liefen führt. Da es eine der größten Demokratien der Welt ist, setzt aber besonders die deutsche Wirtschaft große Hoffnungen auf eine engere Partnerschaft unter dem neuen Präsidenten Lula. Als Alternative zu geopolitischen Abhängigkeiten von China schielt Berlin dabei nicht zuletzt auf die zweitgrößten Reserven an seltenen Erden und auf andere kritische Mineralien, die für die grüne Transformation benötigt werden. Dabei muss Lula achtsam vorgehen. Er versprach ein Ende des illegalen Bergbaus im Amazonas. Schon sein Vorgänger Bolsonaro sah sich aber Protesten gegenüber (s. Bild), als er legale Schürfrechte gesetzlich ausweitete.
Der Standort Chvaletice in der Tschechischen Republik ist wegen seines Kohlekraftwerks umstritten, er kann aber künftig dazu beitragen, die hohe Importabhängigkeit Europas bei den Batterierohstoffen zu reduzieren. 90 Kilometer von Prag entfernt wird die größte Manganlagerstätte Westeuropas erschlossen, denn Mangan entwickelt sich zu einer Schlüsselkomponente in den vorherrschenden Formulierungen von Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge. Es soll hochreines elektrolytisches Manganmetall produziert werden, wovon zwei Drittel in Mangansulfat-Monohydratpulver umgewandelt werden. Das Projekt umfasst die Wiederaufbereitung von feinkörnigem Abraum, dessen Halden aus dem historischen Tagebau und der Verarbeitung von Pyrit in den 1950er-70er Jahre stammen.
Anfang 2020 besuchte Präsident Selenskij Kohlekumpel in der Westukraine. An kritischen Rohstoffen exportierte das Land vor dem russischen Angriffskrieg vor allem Titan. Von 26 Erzvorkommen stehen laut BGR fünf in Produktion, von denen zwei im Weltmaßstab für deutsche Kunden produzierten, aber auch für die Weißpigmentproduktion auf der Krim und für die Titanschwammproduktion in der Ukraine, Kasachstan und Russland. Aus Titanschwamm wird Titanmetall u.a. für die Luftfahrtindustrie hergestellt. Abbau und Verarbeitung in den GUS-Staaten lagen in der Hand ukrainischer und russischer Oligarchen. Kiew wirbt auch mit größeren Lithium-Vorkommen. In zwei Gebieten wurden seltene Erden zumindest nachgewiesen. Wenn die EU-Staaten künftig Rohstoffreserven aufbauen wollen, gehört die Ukraine zu den umliegenden Ländern, mit denen Kooperationen angestrebt werden.
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